Die Wanderarbeiter aus Ostwestfalen & Lippe

300 Jahre Leiharbeit und Werkverträge

Ziegelei Schwarting 1890
Ziegelei Schwarting 1890

Zwischen den Ziegelherrn und die Wanderarbeiter traten 1714 Vermittler, die sogenannten „Ziegelboten” oder „Ziegelagenten”, die mit den Besitzern der Ziegelei Verträge abschlossen, um für sie gegen eine entsprechende Vermittlungsgebühr die Arbeitskräfte in Lippe anzuwerben.

Das Amt des Ziegelboten

Das Amt des Ziegelboten entwickelte sich aus dem des „Friesländischen Botten”, das sich bereits im 17. Jahrhundert „ohne feste rechtliche Fixierung” herausgebildet hatte.

1714 erteilte die lippische Regierung dem Boten Hartwig Eckensträter für Ostfriesland und Groningen ein Monopol für die Vermittlung von Zieglern mit der Anweisung, „daß er niemanden, der nicht von der Kanzlei einen Paß erhalten mitnehmen solle, sich der mitnehmenden jungen Kerle gebührend annehme und ihnen zur sicheren Uberkunft bei den Vorfallenheiten Assistenz leiste”.

„Ziegelknecht"
„Ziegelknecht"

Für das Privileg musste Eckensträter keine Gebühr bezahlen – ein Indiz dafür, wie gering seine Tätigkeit zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeschätzt wurde. Das änderte sich, als 1736 der Ziegelknecht Hermann Henrich Schluer aus Heidenoldendorf versuchte, das offenbar doch recht lukrative Amt des Hartwig Eckensträter zu übernehmen. Für das Privileg bot er der Regierung eine Summe von 100 Talern an, woraufhin Eckensträter das Privileg entzogen wurde. Im darauffolgenden Streit erhöhte sich die Summe auf 270 Taler. 1737 wurden Schluer ein Privileg und ein Pass ausgestellt.

Eckensträter ließ sich nicht wehrlos aus dem Amt verdrängen. Seine Vertrauensstellung sowohl bei den Wanderarbeitern als auch bei den Arbeitgebern im Ausland bewirkte eine Ablehnung Schluers auf breitester Ebene, während Eckensträter selbst – illegal – weiterhin seinem Geschäft nachgehen konnte.

Die Opposition gegen Schluer eskalierte im Sommer 1737, als dieser bei der Ankunft auf einer ostfriesischen Ziegelei von seinen Landsleuten kräftig verprügelt wurde. Auch zu Hause sah er sich schweren Beschimpfungen ausgesetzt. Weil die Bezahlung von den unzufriedenen Wanderarbeitern ausblieb, musste Schluer letztendlich 1740 hochverschuldet vor seinen Gläubigern ins Ausland flüchten, wo er bei Nieheim einen Ziegelofen pachtete.

Monopol für die Vermittlung

Frieslandgänger
Frieslandgänger

Schon 1739 hatte Hartwig Eckensträter sein Privileg gegen eine Zahlung von 200 Talern, die alle drei Jahre erneut geleistet werden musste, zurückerhalten. 1748 folgte ihm sein Sohn Jobst Hermann Eckensträter in dieses Amt.

Aus dem Jahre 1800 ist durch den Bericht des Detmolder Beamten Erp-Brockhausen der jährliche Verdienst von 2250 Talern überliefert. Erp-Brockhausen war der erste, der mit großer Entschiedenheit die Missstände im Vermittlungswesen angriff:

Der Botte Eckensträter ist schlau genug, von den Frieslandgängern nichts Gewisses zu fordern; Er überläßt die Bestimmung seiner Belohnung deren freien Willen, und dem ungeachtet sind jene der Willkür des Botten gänzlich überlassen. Er schließt die Contracte mit den Herren der Ziegelwerke im Auslande, von ihm hängt die Verteilung der Arbeit allein ab — Er kann gute oder schlechte Arbeit zuweisen, wobei viel oder wenig verdient wird — Er ist also der unumschränkte Beherrscher der Frieslandgänger, und müßte nicht Mensch seyn, wenn er nicht demjenigen die vorteilhafteste Arbeit zuteilte, von welchem er am besten belohnt wird.”

Fleege-Althoff überliefert den Ausspruch eines Zieglers, der vor Gericht gegen Eckensträter aussagen sollte:

Eckensträter ist unser Gott”. Die Eigentümer der Ziegeleien waren nicht minder stark von dem Ziegelagenten abhängig, da dieser der einzige war, von dem sie hinreichend viele und gute Arbeiter erhalten konnten.

Konzessionierung der Ziegelboten

Einteilung der Botendistrikte
Einteilung der Botendistrikte

Gab es im 18. Jahrhundert nur einen Ziegelboten, so kamen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen starker Ausweitung des Geschäfts zwei weitere hinzu, und schließlich wurde 1867 noch ein vierter Bezirk eingerichtet.

Ihren Sitz hatten die arbeitsvermittelnden Zieglerboten in Lage. Auf dem Marktplatz kamen an bestimmten Tagen von Dezember bis Februar Ziegler aus ganz Lippe zusammen, um sich für eine der Arbeitsgruppen anwerben zu lassen.

Sowohl die Ziegler als auch die Ziegeleibesitzer hatten für die Vermittlung Gebühren an die Ziegelboten zu zahlen, die ihrerseits eine Konzessionsgebühr an die Regierung zu entrichten hatten.

Pflicht und Recht der Boten

Im Jahre 1842 schließlich wurden die Pflichten und Rechte der Boten in einer „Bekanntmachung, die Ernennung von Ziegelboten und deren Instruction betreffend” festgelegt:

Der Ziegelbote N. N. muß sich angelegen seyn lassen, daß Wohl der auf Ziegelarbeit ins Ausland gehenden Unterthanen auf alle Weise zu befördern. Vor allem wird ihm ein ordentlicher, gesitteter Lebenswandel zur Pflicht gemacht, damit er sich das Vertrauen der Ziegelarbeiter erwerbe und ihnen mit einem guten Beispiele vorangehe.”

Zieglerbrunnen in Lage
Zieglerbrunnen in Lage

Besonders wichtig war der Paragraph zwei dieser „Instruction”:

Die Ziegelarbeiter sind schuldig, sich bei dem betreffenden Ziegelboten zu melden, welcher sie, ohne die geringste Begünstigung des Einen vor dem Andern, einen jeden nach seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit anzustellen, auch für ihren Verdienst und Vortheil nach besten Kräften zu sorgen hat.”

Weiterhin wurde in der „Instruction” festgelegt:

dass der Bote neben seiner Vermittlungstätigkeit die Aufgabe hatte, kleinere Streitigkeiten zu schlichten und auf den „gesitteten, untadelhaften Lebenswandel” der Arbeiter zu achten: „Diejenigen, welche von der rechten Bahn abweichen, hat er zeitig zu erinnern und zu verwarnen, nöthigenfalls aber ihre Entlassung aus der Arbeit zu befördern.”

Außerdem wurde dem Boten von der Regierung eine Art "Krankenfürsorge und Betriebsinspektion" übertragen:

Insbesondere wird er seine Aufmerksamkeit auf den Gesundheitszustand richten und dahin sehen, daß die Arbeiter sich gesunder Wohnungen und gesunder Nahrung zu erfreuen haben und sich zu keinen Verrichtungen gebrauchen lassen, welche die Gesundheit zu untergraben drohen.”

In dieser Instruction aus dem Jahre 1842 ging die lippische Regierung erstmals auch auf die, sich neben der althergebrachten Art der Arbeitsvermittlung durch die Boten herausbildende, neue Form des Arbeitssystems ein, das dadurch charakterisiert werden kann, daß die Meister die benötigten Zieglergehilfen, die in aller Regel aus dem Wohnort des Meisters stammten, selbst anwarben. So heißt es:

Es bleibt zwar den Ziegelmeistern unbenommen, unmittelbar mit den Ziegelherren die Contracte abzuschließen und die nötigen Arbeiter anzudingen. (•. .). Es bleibt ihnen aber bei nachdrücklicher Strafe untersagt, für andere Ziegeleien Arbeiter anzuwerben und wohl gar Contracte daneben abzuschließen.”

Sozialgesetze
Sozialgesetze

Alle einschlägigen Rechtsverhältnisse, Organisationsstrukturen und Zuständigkeitsreglungen wurden 1851 zusammengefasst und bekräftigt im

„Gesetz über die gewerblichen Verhältnisse der Ziegelarbeiter und Ziegelagenten“.

Es sei dahingestellt, wie genau seine Bestimmungen im einzelnen befolgt oder deren Verletzung sanktioniert wurden – als das Gesetz und seine Normen 18 Jahre später mit der Einführung der liberalen Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes in Lippe am 1. Oktober 1869 außer Kraft gesetzt wurde, war dies in der Wahrnehmung vieler Betroffener ein radikaler Bruch.

Einschneidende Veränderungen ergaben sich für die Stellung der Ziegelboten: Sie verloren ihre amtliche Stellung und betrieben die Stellenvermittlung privat und nicht mehr als staatliche Aufgabe. Auch die von den Ziegelboten verwalteten Sterbe- und Krankenkasse wurde in eine freiwillige Genossenschaft umgewandelt und die Arbeit der Ziegelboten mehr und mehr durch die Eigeninitiative der Ziegelmeister ersetzt.

Werkverträge mit dem Ziegelmeister

Ziegelmeister Hermann Klöpping (vorne rechts) mit seiner Belegschaft
Ziegelmeister Hermann Klöpping (vorne rechts) mit seiner Belegschaft

Im Einzelübernahmevertrag verpflichtete sich der Ziegelmeister gegenüber dem Ziegeleibesitzer, für einen ausgemachten Festpreis eine bestimmte Anzahl Ziegelsteine fertigen zu lassen. Von der erwirtschafteten Summe zahlt der Meister dann die von ihm gedungenen Arbeiter. Auf diese Weise war er zwischen Ziegeleibesitzer, die eigentlichen Herren der Produktionsmittel, und die Zieglergesellen getreten, die Lohnabhängige geworden waren.

Auch innerhalb der Ziegeleiarbeitsguppe vergrößerten sich die Unterschiede. Ursprünglich unterschied man diejenigen Arbeiter, welche die Ziegle formten und "strichen", von denen, die sie brannten. Seit der Mechanisierung der Ziegeleibetriebe und der damit einhergehenden Differenzierung der Arbeitsteilung traf man Ofenleute, Brenner, Heizer, Maschinisten, Tongräber, Tonlader, Packensetzer, Schieber und Pressenleute, die entsprechend ihrer Funktion und ihrem Alter entlohnt wurden."