Zu den ersten lippischen Einwanderern in Nordamerika gehört der Lemgoer Arzt Wilhelm Trophagen, von dem berichtet wird, dass er zu einer Reihe angesehener New Yorker Geschlechter zählte.
Zunächst lockte das "Goldene Zeitalter" Amsterdams, Wilhelm bewarb sich dort 1646 als "journeyman baker" (zweiter Bäcker) und nannte sich fortan "Wilhelm Jansen". Er heiratete Jannetje Claesen Groevnis und war im nächsten Jahr schon Bäckermeister. Der Wohlstand wuchs, und nach mehreren Jahren entschloss sich Wilhelm Jansen, dem Ruf des 1612 in Amerika gegründeten "New Holland" zu folgen und dort Fuß zu fassen. Unter dem Governor Peter Stuyvesant gehörte er zu denen, die 1656 den Indianern Land abkaufen und sich dort erste Häuser errichten konnten.
Jannetje hatte ihm drei Kinder geschenkt, starb aber schon 1657; er heiratete noch zweimal. 1671 hinterlegte er eine für damalige Zeiten vorbildliche eidesstattliche Aussage über seine Familienverhältnisse, in der u.a. ein Hinweis auf die Trophagen-Stiftung in Lemgo enthalten war, die heute noch, wenn auch entwertet, von der Stadtkasse Lemgo verwaltet wird.
Der Erfolg Wilhelm Jansens regte drei weitere Traphagen aus Luthe/Niedersachsen zur Auswanderung an, deren Familien wahrscheinlich schon vorher Lemgo verlassen hatten.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Träger dieses Namens so gut in ihrem Gastland integriert und soviel Verdienste erworben, dass man ihren Anteil an der amerikanischen Geschichte kaum vernachlässigen kann. Einen Hinweis liefert z.B. die Library of Congress in Washington D.C., in deren Katalog über 50 Bücher mit einem Verfasser Traphagen oder einem Nachfahren zu finden sind.
Der wohl bedeutendste lippische Auswandererführer war Bauer Friedrich Wilhelm Reineking aus Langenholzhausen Nr. 62. Er führte 112 fromme Dörfer aus Langenholzhausen im Mai 1847 in den äußersten Norden des Staates Wisconsin. Nordwestlich von Milwaukee (Lake Michigan) gründeten sie die Urzelle der größten Ansiedlung von Lippern in den USA: „Neu Lippe“ mit dem Dorf „Hermann“ als Zentrum.
Im Winter 1846/47 verkauften Bauer Friedrich Wilhelm Reineking und seine mitreisenden Nachbarn ihre Höfe, Land und Hausrat, bauten sich stabile Seekoffer, füllten diese mit allem Notwendigen (Werkzeug wie Äxte, Beile, Sägen, dazu Bibel und Heidelberger Katechismus) und bestellten in Bremen für 24 Familien, 13 junge Männer und zwei unverheiratete Frauen Plätze auf dem Dreimaster „Agnes von Bremen“.
Am 4. Mai 1847 wurden in Bremen die Segel gesetzt. Ziel sollte New York, mit Weiterfahrt in die Prärie von Iowa sein. Das Schiff war total überladen. Der Jurist und Schriftsteller Jerome C. Arpke hat die Einzelheiten dieser höllischen Überfahrt 1895 beschrieben: „Nahezu 400 Seelen waren auf engstem Raum zusammengepfercht. Die Leute lagen so dicht beieinander, dass sie sich nur gemeinsam auf Kommando zu der anderen Seite drehen konnten! ... Wie zu erwarten, gab es viele Kranke. 13 oder 14 Mitreisende starben, darunter auch drei unserer armen lippischen Auswanderer“.
Aus Furcht, mit seinem Schiff an die Kette gelegt zu werden, brachte der Kapitän seine völlig entkräfteten Passagiere nicht nach New York, sondern setzte sie bei Quebec in Kanada an Land. Von dort aus führte der Weg per Boot, Eisenbahn und zu Fuß weiter nach Sheboygan, einem damals kleinen Fischerdorf am Lake Michigan. Dort traf man endlich wieder Deutsche, die sich der völlig abgerissenen Lipper annahmen. Doch auch in diesem Hafen Lug und Trug: Ein Landagent riet den Langenholzhausern dringend ab, angesichts ihrer leeren Kassen nach Iowa zu trecken. Stattdessen gebe es in Sheboygan County riesige Wälder und fruchtbares Ackerland nahezu umsonst zu kaufen.
Das ließen sich die meisten Lipper der Gruppe nicht zweimal sagen: Reineking rief zur Abstimmung. Die Mehrheit wollte nach Sheboygan ziehen. Ein nicht geringer Teil der Gruppe sprach sich dennoch für Iowa aus. Da stellte sich der Bauer Reineking auf einen Hügel, damit ihn alle sehen konnten, und gab auf Lipper Platt die Parole aus: „Niu Kinners, lustert mohl ens täu! Wo wi Lippers henngoht, do goh wi olle henn! Dorümme packet jibbe Klamotten un kuhmt met no Westen. Do wütt wi iuse nuiget Lippe bäuhen!“
So kam es denn auch. Um sicher zu gehen, kaufte Friedrich Reineking dem Agenten für die ganze Gruppe erst einmal 1.000 Acker (400 Hektar) Wald- und Weideland in der Wildnis von Sheboygan Falls ab. Wie sich bald herausstellen sollte, lag dieser „nahe“ Siedlungsplatz mehr als 50 Kilometer von der Town of Sheboygan entfernt im tiefsten Urwald. Dazwischen Bäche, Flüsse, Moore und kein einziger ausgebauter Weg.
Mit Hilfe von zwei geliehenen Ochsengespannen transportierten die Lipper ihre Kisten und Koffer querfeldein durch das wilde Land. Bis nach Howard’s Grove, wo sie am 25. Juli 1847, elf Wochen nach ihrer Abreise von der Heimat, eintrafen. Auf einer Lichtung am Wasserfall ließen sie sich nieder und begannen unverzüglich mächtige Tannen für den Bau solider Fachwerkhäuser nach gewohntem Langenholzhauser Modell zu fällen.
Der Patriarch aller Lipper in Wisconsin, Bauer Friedrich Reineking, kam im Jahre 1861 im Alter von 71 Jahren beim Fällen eines Baumes zu Tode. Gerade, als seine Männer den Kerb zu der Richtung geschlagen hatten, in die der Stamm fallen sollte, packte eine Gewitterböe die Krone und warf den Baum auf die Gegenseite, traf Reineking und erschlug ihn. So hat dieser legendäre „Führer der Lipper Mucker“, wie er in einem Bericht seiner Kritiker in Detmold bezeichnet wurde, die Einweihung des von ihm geplanten „Missionshauses“ im Jahre 1862 nicht mehr erleben können. Auch die Planung der ersten „Lippe-Kirche“, die den Namen „Reformed Immanuel Church“ erhielt, hatte in seinen Händen gelegen. „Er ist der wahre Vater aller Lipper in Wisconsin gewesen“, schrieb seine Urenkelin Ruth Reineking 1965 in die Familienchronik.
Im Sommer 1848 gründeten die lippischen Siedler ihre reformierte „Immanuel-Kirchen-Gemeinde“. Mangels eines Gotteshauses machte man sich sonntags gelegentlich auf den weiten Fußweg nach Howard, wo dann und wann ein reformierter Wanderprediger aus der Schweiz das Evangelium auslegte. Ansonsten war gewöhnlich die Deele des Reinekingschen Fachwerkbaus Platz für Taufen, Trauungen und Trauerfeiern. Dort fand auch die erste Eheschließung in der lippischen Siedlung „Hermann“ statt, und zwar zwischen dem Kolonisten Friedrich Stock junior und Amalia Reineking, älteste Tochter des Auswandererführers Friedrich Reineking.
Bargeld war in dem „Lippe-Detmolder Settlement“ Mangelware. So gingen die Männer oft wochenlang nach Sheboygan, Milwaukee oder sogar bis Chicago, um dort als Maurer, Zimmerleute oder Hilfsarbeiter „Dollars zu machen“. Auch die Frauen suchten Verdienstmöglichkeiten z.B. als Wäscherin, Dienstmädchen oder Kinderbetreuerin bei den Reichen in Sheboygan und Newton.
Bei ihren „Ausflügen“ in das Landesinnere entdeckten die Männer nördlich und westlich ihrer Siedlung „Hermann“ Gegenden, die ihnen für die Landwirtschaft geeigneter schienen. Und so zogen in den folgenden Jahrzehnten nicht wenige Familien nach Howard’s Grove, Green Bay oder bis nach Neu Ulm in Minnesota oder gar bis Nebraska und bildeten weitere „New Lippes“ sowie stets auch ihre eigenen reformierten Kirchengemeinden.
New Ulm hatte zur Zeit der ersten Überlegungen von Julius Berndt lediglich 4.000 Einwohner. 1862 kam es zu einem Indianderaufstand der Sioux gegen die deutschen Siedler. Die Stadt wurde bis auf 30 Häuser zerstört. Mit der Wahl von John Lind zum 14. Gouverneur von Minnesota 1899 machten sich vermehrt kulturelle, soziale und politische Einflüsse bemerkbar, und die Stadt wuchs auch in den Bereichen Bildung, Sport, Unterhaltung und Musik. Noch heute ist der Einfluss der deutschstämmigen Bevölkerung zu sehen, vor allem in der Architektur, der Stadt- und Straßenplanung.
Durch gemeinsam engagierte Prediger, Kreuz- und Querhochzeiten und die Sprache hielt man über Generationen eng Verbindung miteinander. Haupt-Bindeglied wurde schließlich das „Lippische Missionshaus“ in Howard’s Grove, das zur Ausbildung eigener Prediger und deutscher Lehrer entstand.