Die früheste Erwähnung von lippischen Zieglern lässt sich im Jahr 1657 für den Ort Weener (Ostfriesland) nachweisen. Hier ist der Ausgangspunkt der lippischen Wanderziegelei zu suchen. 1824 gab es allein in den 18 produzierenden Ziegeleien des Rheiderlands 148 Lipper. 1865 arbeiteten 300 von 688 auf ostfriesischen Ziegeleien beschäftigten Lippern im Amt Weener.
Ostfriesland und insbesondere das Rheiderland bilden die "Mutterregionen" einer später fast europaweiten Wanderbewegung der lippischen Wanderziegelei. Die typischen Formen der Arbeitsorganisation - etwa die "Lipper Commune" - haben sich hier unter den spezifischen Arbeitsbedingungen der Kleiziegeleien entwickelt.
Die Regierung hat lange versucht, die Form der Wanderarbeit zu verhindern, man fürchtete den Verlust billiger Arbeitskräfte. In einer „Verordnung wegen der Frieslandgänger von 1655″ heißt es: „So jemand unserer Untertanen aus dieser Grafschaft ohne Erlaubnis entweichen oder andererorten in Dienst tritt, sollen dem selben Weib und Kinder nachgeschickt werden.”
Auf dem Landtage des Jahres 1682 wurde aber immer noch darüber geklagt, daß „die jungen arbeitsfähigen Leute des Landes die üble Gewohnheit haben, nach Friesland zu wandern”. So wurde noch im selben Jahre die Strafandrohung verschärft. Unter anderem heißt es in dieser Verordnung, die den ersten historischen Beleg für die Existenz lippischer Zieglerwanderarbeiter darstellt, wörtlich: „… wobei wir auch denjenigen, welche sich bishero zu gewisser Zeit des Auslaufens in fremde Länder angemaßet, daselbst der Ziegelarbeit sich zu bedienen, solche ihre bisherige Gewohnheit, und zwar jedem bei Strafe 50 Goldfl. alles Ernstes verbieten”.
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein erfolgte Erlass auf Erlass, schließlich musste sie sie jedoch akzeptieren, weil sie sich zu einer wichtigen Verdienstquelle für die Einwohner entwickelte, die mit dem Lohn Steuern und Pachten bezahlen konnten.
Die saisonale Wanderung der Lipper lag in den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen des kleinen Landes begründet: Lippe blieb, im Gegensatz zu der nördlich gelegenen Grafschaft Ravensberg, bis ins 20. Jahrhundert hinein agrarisch ausgerichtet, sieht man von der Weberei ab, die allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch an Bedeutung verlor.
Als auch die Weberei in die Krise geriet, bestand für viele nur die Möglichkeit der Auswanderung. Tatsächlich verließen im 18. und 19. Jahrhundert viele Lipper ihre Heimat, um nach Amerika zu gehen. Andere wählten zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation die saisonale Wanderung, wobei sie sich auf die Zieglerei spezialisierten.
Die Zahl der lippischen Ziegler war - im Gegensatz zu ihrer sprichwörtlichen Bekanntheit - lange Zeit klein: 1781 umfasste sie nur 248 Männer, 1836 waren es 1.408, 1850 stieg ihre Zahl auf 2.499, und 1910 wurde mit 14.227 ihre höchste Zahl erreicht. Das waren rund 10% der Gesamtbevölkerung und mehr als 20% der Beschäftigten.
im Amt Detmold erreichten sie sogar den Rekordanteil von 25,5%. Damit herrschten um die Jahrhundertwende in Lippe Verhältnisse, die an manche Heimatregionen der Gastarbeiter von heute erinnern.
Im März zogen bereits die ersten Trupps los, im April folgte die große Zahl der anderen und von Ende September an kehrten sie zurück. Meist wurden sie von einem "Ziegelboten" angeworben und fanden sich zu Gruppen zusammen, die unter einem "Ziegelmeister" gemeinsam eine Ziegelei bewirtschafteten.
Diese "Lipper Commune" ermöglichte den Arbeitern zwar höhere Löhne als eine andere Form des Arbeitsverhältnisses, übertrug ihnen aber auch das Risiko.
Spezialisierung der lippischen Ziegler
Piet Lourens und Jan Lucassen vermuten, dass die Spezialisierung der lippischen Ziegler eine Konsequenz der im frühen 17. Jahrhundert einsetzenden Saisonarbeit lippischer Wanderarbeiter in den Torfmooren nahe den norddeutschen Küsten zu sehen sei:
"Es hat den Anschein, dass sich dieser Kontakt lippischer Arbeitswanderer mit dem Ziegeleigewerbe am Unterlauf der Ems vollzogen hat. [...] Es ist anzunehmen, dass sie diese Gebiete schon länger als Arbeitswanderer aufgesucht hatten, dort aber in anderen Betriebszweigen tätig waren. Am glaubhaftesten scheint die Vermutung, dass sie anfangs in der niederländischen Provinz Friesland nicht nur Gras mähten, sondern auch im Frühjahr in den Groninger Mooren Torf stachen. Die dortigen Abtorfungen wurden in großem Umfang durchgeführt und erforderten im Gegensatz zu den damals weitaus kleineren ostfriesischen Abtorfungen, viele Arbeitskräfte. [...] Die Groninger Schiffer lieferten im 17. Jahrhundert Torf nach Ostfriesland, insbesondere jene aus Pekela setzten viel Torf auf dem Markt in Emden ab. Dieser Torf wird zum Teil auch für die ostfriesischen Ziegeleien bestimmt gewesen sein. Als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Arbeitsgelegenheiten in den Groninger Mooren stark zurückgingen, werden, so ist anzunehmen, die engen Verbindungen zwischen den Groninger Mooren und den Ziegeleien in Groningen sowie dem Rheiderland [...] eine Anzahl Lipper dazu gebracht haben dort die Arbeit aufzunehmen."
Vom 17. bis weit in das 19. Jahrhundert waren die lippischen Ziegler in der Regel in Ziegeleien beschäftigt, deren Produktionskapazität für die Beschäftigung einer oder mehrerer lippischer Zieglergruppen ausreichte.
Während einer Saison war eine lippische Gruppe, bestehend aus durchschnittlich fünf bis acht Männern, verantwortlich für den gesamten Produktionsprozess, vom Mischen des Tons bis zum Brennen der Ziegel und ihrer Vorbereitung für den Versand.
Die lippischen Ziegler arbeiteten im Gruppenakkord, wobei sie gemäß der Absprache über die Entlohnung einen festen Betrag für tausend gut gebackene Ziegel erhielten. Entscheidend für die Produktivität einer Zieglergruppe war die Qualität der Zusammenarbeit aller Mitglieder.
In den Ziegeleien an der nordöstlichen niederländischen und deutschen Nordseeküste sowie in großen Betrieben in Schleswig-Holstein und Jütland blieben die Ziegler deshalb unter sich und waren dort geschätzte Spezialisten. In anderen Gebieten (Norwegen, Schweden, Polen, West-Russland, Österreich-Ungarn, ebenso in Westfalen) arbeiteten die Lipper stets in Konkurrenz mit anderen Arbeitswanderern.
„Auf der Ziegelei musste ich zuerst lernen, Handsteine vom Streichtisch abzutragen. Jedes Mal, wenn der Steinemacher einen Stein geformt hatte, trat ich auf den Hebel, das Brett mit dem Stein wurde hochgehoben, es ging ‚klink, klink’, dann griff ich nach dem Stein und trug ihn ins Gerüst von Brettern, das wir eine ‚Ruste’ nannten, zehn Schicht hoch. Das musste aber behände gehen, denn wenn der Steinemacher den nächsten Stein gestrichen hatte, musste ich schon wieder auf den Hebel treten und zugreifen. So musste ich wohl siebentausendmal am Tage hin und her rennen. Dann hatte ich besonders darauf zu achten, dass die Steine auf der Ruste nicht schief zu stehen kamen, und weil das nicht so leicht war, sagte dann der Steinemacher wohl: ‚Ek mot düu euerst mol wüusen, wo diu 'se setten moßt.’ Von ihm lernte ich es denn bald. Er war überhaupt ein guter Mann. […]
Wir waren mit 24 Mann auf dem Werke. Der Meister war streng. Er war wohl zufrieden mit unserer Arbeit, aber es sollte immer noch besser gehen und noch mehr geschafft werden, denn um jene Zeit wurde in Hamburg so flott gebaut. Doch arbeiteten wir schon so lange, wie das Tageslicht es erlaubte, von morgens früh drei bis abends neun Uhr. Bei dieser langen und schweren Arbeit kam in mir kein Heimweh auf, wohl aber sonntags, wenn ich allein war und an die Schulkameraden in der Heimat dachte.
Am 14. Oktober war Schluss der Kampagne. Ich hatte einen Stundenlohn von elf Pfennig gehabt und bekam nur für die Zeit von 27 Wochen 90 Taler ausgezahlt. Wenn ich die baren Ausgaben, die Beiträge zur Kommune und das Reisegeld abzog, konnte ich meinen Eltern noch 45 Taler hinlegen. Dabei hat die Freude des Wiedersehens ihnen und mir die Tränen in die Augen getrieben. In den Wintermonaten musste ich meinem Vater nun in seinem Handwerk helfen. […] “