„Die Bevölkerung teilt sich auch hier in die größeren Rittergutbesitzer, in die kleinen Colonatsbesitzer und die sogenannten Einlieger.
Während die ersteren sich ausschließlich vom Ackerbau und von der Viehzucht ernähren, treiben die kleinen Colonen, neben der Ackerwirtschaft im Kleinen, meistens noch ein Handwerk, namentlich die Leinenweberei. Diejenigen von diesen, welche so viele Grundstücke besitzen, um dieselben mit eigenen Kühen beackern zu können, sind gewöhnlich im Wohlstande, indem ihnen ihr Brotkorn zuwächst, und sie ihre nötigen Ausgaben aus Eiern, Butter, Federvieh, Obst und dergleichen wie auch aus dem Linnen lösen, zu welchem sie im Winter selbst das Garn spinnen.
Doch diejenigen, welche außer einem Häuschen und einem kleinen Garten nichts eigenes besitzen, teures Mietsland bewirtschaften und Leggelinnen weben, sind meistens nicht viel besser dran, als die dritte Klasse der Bevölkerung, die Einlieger. Diese machen den bei weitem größten Teil der Einwohner unseres Landes aus, sie sind der eigentlich leidende Teil der menschlichen Gesellschaft unserer Gegend. Fassen wir daher ihre Lebensweise näher ins Auge, und besehen wir uns zuerst ihre Wohnungen.
Gewöhnlich wohnen in kleinen Häusern [...] zwei, drei und vier ‚Paar’ Leute zusammen. Ein kleines niedriges Zimmer, gewöhnlich mit einem irdenen Fußboden versehen, ein Schlafgemach auf der ‚Bühne’, wohin man vermittelst einer Leiter gelangt, ein Eckchen in einer sog. Küche und ein Ziegenstall sind Räume, die ein Einlieger seine Wohnung nennt und wofür er 6-8 Sg. bezahlt.
Nicht ein jeder hat auch in seinem Häuschen einen Keller. Daher muß mancher sein Gemüse bei gefälligen Nachbarn unterzubringen suchen. Nicht selten findet man aber auch Kartoffeln, Rüben und anderes Gemüse in einer Stubenecke oder in dem Schlafgemache, wenn solches sich zu ebener Erde befindet, aufgehäuft.
Die Wohnstube des Proletariers enthält gewöhnlich das ganze Möblement desselben: einige Brettstühle, eine hölzerne Bank, einen Tisch, einen Schrank oder auch eine Lade, die dann zugleich als Sitz dient. Außer diesen Gegenständen besitzen die meisten Einliegerfamilien nur noch ein einziges Bette, in welchem oft 4-5 Personen schlafen. [...] Durch das Zusammensein so vieler Menschen in einem kleinen Raum, durch das auf dem Ofen zum Trocknen gelegte Holz, durch die Ausdünstung des tönernen Fußbodens und der Tranlampe, entsteht eine furchtbar verpestete Luft, deren zerstörende Wirkungen auf die Bewohner solcher ‚Höhlen’ nur gar zu deutlich zu bemerken sind.
Um das Jammerbild unserer Einlieger zu vervollständigen, reden wir nun weiter von ihren Mahlzeiten. Des Morgens genießt die Proletarierfamilie ein Getränk, welches sie Kaffee nennt, aber nichts weniger als das ist; denn sie bereitet dasselbe aus dem sogenannten ‚deutschen Kaffee’, oder aus gedörrten Runkelrüben, Rüben, gebrannten Roggen, Weizen, Erbsen u.a.m. Zu einem solchen Morgentrank ißt ein jeder ein Stückchen Brot und erwartet so, meistens nur halb satt, den Mittag. Doch der bringt selten etwas anderes, als abgekochte Kartoffeln. Als Fett benutzt man Talg und Oel; denn unter 20 Einliegerfamilien befindet sich kaum eine, die ein Schwein schlachten kann. Wer hierzu noch im Stande ist, gilt für wohlhabend. [...]
Aus dem Leinen, welches teils grau, teils gebleicht, am wenigsten gefärbt verbraucht wird, erhalten sämtliche Familienmitglieder ihre Anzüge, die nun fürs ganze Jahr hinreichen müssen, jedoch meistens, nachdem dieselben ein halbes Jahr Tag für Tag treue Dienste geleistet, trotz allen Flickens und Stopfens in sehr desolate Umstände geraten. Gegen Kälte und Nässe gewähren solche abgetragenen und durchlöcherten Kleidungsstücke wenig Schutz und der Arme leidet dabei ungemein viel, so sehr sein Körper auch abgehärtet sein mag. Am schlimmsten sind die Kinder dran, die mit bloßen Füßen oder zerrissenen Schuhen und in ihren dünnen leinenen Kleidern weite Schulwege zu machen haben. Bei nassem kalten Wetter muß der Lehrer solche arme Kinder förmlich hinter den warmen Ofen auftauen und trocknen. Wie glücklich ist daher ein solches Kind, welches irgendein abgenütztes Kleidungsstück von Wohltätern erhält, so komisch es auch aussieht, wenn ein solches dem Kind entweder zu groß oder zu klein ist. Da unsere Armen sich so schlecht kleiden müssen, so eilen sie, wenn nur immer möglich hinter den warmen Ofen. Das Holz zur Heizung desselben holen sie sich fast alle auf ihrer Achsel aus den herrschaftlichen und Privat-Gehölzen, da es ihnen zum Ankauf des Brennmaterials teils an Geld, teils aber auch an Gelegenheit zur Erlangung desselben fehlt.
Die Einlieger wohnen meistens auf den größeren Colonaten, deren Besitzer denselben gewöhnlich nur unter der Bedingung eine Wohnung einräumen, dass sie ihnen bei den ökonomischen Arbeiten, namentlich aber in der Ernte, gegen einen billigen Tagelohn, behilflich sind. Könnte der Bauer die Tagelöhner das ganze Jahr hindurch beschäftigen, so möchte die Lage derselben, nicht so drückend sein. – Jenes ist aber nicht der Fall; denn die ökonomischen Arbeiten nehmen die Hilfe der Tagelöhner in der Regel nur vor Beginn der Ernte bis dahin in Anspruch, wenn der Ausdrusch des Getreides beendigt ist (August bis Februar). Durch die übrige Zeit des Jahres sieht sich der Tagelöhner außer Arbeit und daher auch außer Verdienst. Er muß sich deshalb beides im Auslande zu verschaffen suchen, im Fall seine Kräfte es ihm erlauben, die Beschwerden einer längeren Reise sowohl, wie die harten Arbeiten selbst zu bewältigen. Ende März oder Anfang, April wird die Reise in Gemeinschaft der Arbeitsgenossen des Dorfes oder der Umgegend angetreten.“
In vier Folgen wird in der Zeitung „Die Wage“ die Lebensweise beschrieben. Bis zuletzt war die Wage eng verwoben mit den demokratischen Volksvereinen, über die das Blatt häufig berichtete.
Am 7. September 1852 wurde die Zeitschrift verboten.
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