Das Bild vom Moor wurde geprägt von abergläubischen Vorstellungen und heimlichen Ängsten: die nächtlichen Irrlichter, der Gedanke an Moorleichen, sonderbare Pflanzen wie der fleischfressende Sonnentau, der endlos schwankende und unberechenbare Sumpf - Facetten einer Landschaft, auf der bis zum Horizont kein Haus, kein Strauch und nur hin und wieder Heidekraut, einige krüppelige Baumgestalten, ein paar Binsen und harte Gräser zu sehen waren. All das führte zu einer Sonderstellung der Moore in Volksglauben und Kunst.
Wer hier geht, der nimmt den Schauder mit, den Annette von Droste-Hülshoff 1844 ihrem „Knaben im Moor“ mit auf den Weg gegeben hat. Was hier vegetiert und im Boden fest verwurzelt ist, das verändert in Regen, Dämmerung und Nebel seine Gestalt. Die Fotografen, Dichter und Maler kommen nicht umhin, sich hier mehr auf das Unsichtbare zu verlassen. Alles Sichtbare ist trügerisch, wie die Irrlichter über dem Moor. Künstler, die sich der Landschaft verschrieben haben, gehen über das Gesehene und Empfundene immer weiter ins Phantastische hinein, bis zuletzt den Nebeln und Untiefen Phantasiefiguren entsteigen, dem Goetheschen Erlkönig gleich nur Einbildungen und dennoch präsent und zutiefst bedrohlich. Es ist ein seltsam unwirkliches Land, das die Phantasien und Ängste des Menschen immer reizte, beflügelte und zuletzt doch überforderte.
„Es war eine endlose Weite, in der kein Gegenstand sich über Kniehöhe erhob und die Horizontlinie weithin durch das Moor selbst gezirkelt wurde. Sammetgrüne, olivfarbige, rostbraune und blutrote Moospolster bilden das farbenprächtige Muster des weichen schwellenden Teppichs, über den der Fuß auf die Dauer nur mühsam zu schreiten vermochte und mit jedem Schritt Wasser aus dem saugenden Riesenschwamm herauspresste. Es war eine Landschaft, in der Erhabenheit und Schönheit mit dem Grauen einer trostlosen Öde dicht nebeneinander wohnten.“ So resümierte der Botaniker August Grisebach um 1870 seine Eindrücke der einsamen und formlosen Landstriche, die bereits damals nicht mehr zu den gefährlichen, wohl aber bereits gefährdeten Naturlandschaften gehörten.
Drei Prozent der Erdoberfläche waren einmal von Hochmooren bedeckt, deren nacheiszeitliche Verbreitung als nährstoffarmer Lebensraum einer an diese extremen Bedingungen angepassten Flora und Fauna weltumspannend war. Doch die Erzählform von der Schönheit und dem Grauen im Moor war zu Grisebachs Zeit bereits die der Vergangenheit: „Es war einmal...“ Und was die Jahrtausende in stetem, langsamem Wachstum des unscheinbaren Torfmooses gebildet haben, konnte innerhalb kürzester Zeit durch Entwässerung zunichte gemacht werden, wenn dieser wassergetränkten Landschaft ihr Lebenselixier entzogen war. Zurückblieb eine vom Tode gezeichnete Wildnis, trostlos und unbehaust.
Sie wurde spätestens im 19. Jahrhundert zum Seelenspiegel der Zivilisationskrankheit Melancholie. „Man muss“, schrieb der Dichter Ferdinand Freiligrath 1841 nach der Reise durch die emsländischen Moore, „auf den Haiden und öden Landesstreckens Westphalens tagelang selber umhergestreift, stundenlang auf einem seiner Hünensteine sinnend gesessen und der braunen Unendlichkeit mit den Blicken nachgeschweift haben, um ganz empfinden zu können, wie eine solche Umgebung dem Gemüte eine entschiedene Richtung in seine eigene Tiefe hinein gibt.“
Während die Kolonisierung der heimischen Moorgebiete gegen Ende des 18. Jahrhunderts allmählich abgeschlossen wurde, begann zeitgleich deren ästhetische Entdeckung. Der Historiker Lorenz Westenrieder machte 1782 auf die natürlichen Schönheiten der oberbayrischen Moore aufmerksam, vier Jahre später unternahm der Maler Georg von Dillis eine erste Erkundung der Distrikte und betrieb gewissenhaft Studien von der Natur. Und so begann ein einzigartiger Siegeszug der Besiedlung ,der strebenden oder gestorbenen Moore, durch die bildende Kunst, welche aus den zivilisierten Städten hervorging, um in dem geheimnisvoll unklaren Land aus Nebel und Fäulnis einen Spiegel der eigenen Zeitenläufe und des menschlichen Schicksals zu finden.
„Gerade dann“, schrieb der französische Maler und Schriftsteller Eugène Fromentin, „wenn die Natur zum Tode verurteilt wird, wenn die Industrie sie zerstückelt, wenn Eisenbahnlinien sie umwühlen, wenn die Fabrikarbeit den Menschen einsperrt, wenn der Mensch die Erde behandelt, wie es ihm paßt, gerade dann sucht der menschliche Geist die Natur. Er sieht sie so, wie er sie bisher noch nie gesehen hatte, er betrachtet diese ewige Mutter zum ersten Mal, er erfährt sie durch sein Studium, überrascht und bezaubert, er überträgt sie auf Papier und Leinwand, hält sie damit lebendig und deutlich fest, mit einer Wahrhaftigkeit ohnegleichen.“
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In dem verschwiegenen Wald von Fontainebleau und in Sichtweite der Moore von Bellecroix wurde um 1830 die erste Künstlerkolonie auf europäischem Boden begründet, inmitten einer zivilisationsfernen Ursprünglichkeit, die bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert und der künstlerischen Besiedlung des Teufelsmoores bei Bremen eine neue künstlerische Wahrnehmung und Haltung einleitete. Ernst Bloch legte 1932 die evidente Beziehung zwischen der Stilkunst um 1900 und den Öden dar, welche der bildenden Kunst die Themen und oftmals auch den Lebensraum gaben. „Der Sumpf, vor allem die Heide gehören zusammen zum Jugendstil. Sie wurde damals breit entdeckt, obwohl und indem sie so zart abweisend, so einsam für sich ist wie kaum sonst ein Stück Land.“
So hatte sich am Beginn des neuen Jahrhunderts aus der künstlerischen Diaspora im Moor eine neue sinnliche Qualität der Wahrnehmung geläutert, von der die Moderne ihren Ausgang nahm. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war das Moorland an der Ausprägung eines künstlerischen Stiles beteiligt, der den Namen Naturalismus trägt und aus dem visuellen Erlebnis unbehauster Landschaften hervorgegangen ist. Das Moor bot den natürlichen Rahmen, um zur differenzierten Wahrnehmung der Atmosphären und des Lichtes vorzudringen und schließlich die Wirkung der autonomen Farbe zu finden. Dann hatte es seine Schuldigkeit getan.
Der Dichter Rainer Maria Rilke beendete seine 1902 verfasste Worpswede-Monografie über die dort ansässigen Künstler: „Es ist so vieles nicht gemalt worden, vielleicht alles. Und die Landschaft liegt unverbraucht da wie am ersten Tag.“
mein Seelenspiegel